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  • AutorenbildNadiya Khayrullina

Männerbilder


„Bei harten Menschen ist die Innigkeit

eine Sache der Scham – und etwas Kostbares“. Nietzsche


Männer werden dazu erzogen, stark, aktiv und unverwundbar zu sein, ihre Emotionen und Gefühle zu unterdrücken und auf keinen Fall ihre Verletzlichkeit zu zeigen und ihr Gefühlsleben ohne Hemmungen zu zeigen. Sie tendieren bei Schamerlebnissen, im Gegensatz zu Frauen, zu Extraversion und Aggressivität (vgl. Hell, 2018, S. 82).




„Wie? Ein großer Mann? Ich sehe nur den

Schauspieler seines eigenen Ideals.“ Nietzsche

Statistisch gesehen sterben Männer früher als Frauen: Männer sind öfter Opfer von Gewalt. Sie verunglücken öfter im Straßenverkehr, weil sie dazu neigen, riskanter als Frauen Auto zu fahren, und während der Arbeit, weil sie gefährlicheren Berufen nachgehen. Deutlich mehr Männer als Frauen begehen Selbstmord. Männer rauchen mehr als Frauen, konsumieren mehr Alkohol und Drogen. Männer leiden öfter als Frauen unter sexuell übertragbaren Krankheiten, wie HIV, Hepatitis, vor allem Homosexuelle.

Warum ist das so? Die Gründe dafür sieht Andrew Smiler in den Bildern, die man in der Gesellschaft von dem Begriff der Männlichkeit gezeichnet hat sowie dem Verständnis von Männerrollen:

Wenn man Smiler folgt, nahmen die Männer in der Gesellschaft der meisten Länder eine dominante Stellung ein, und sie besetzten die Machtpositionen. Die Vorstellung von Männlichkeit hat sich aber im Laufe der Zeit verändert. Wenn das Männlichkeitsverständnis früher, zum Beispiel im 19. Jahrhundert, den Männern nicht schadete (im Gegensatz zu den Frauen, die sehr eingeschränkt lebten), änderten sich Männerideal und Männerbilder im 20. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert war die Ehrenkultur verbreitet, und Tugendhaftigkeit stand für beide Geschlechter hoch im Kurs. Das Männerbild damaliger Zeit erlaubte den Männern sanft, leidenschaftlich, ehrenhaft und gefühlvoll zu sein. In dieser Zeit definierte sich Männlichkeit im Rahmen der Zwei-Sphären-Lehre, die besagte, dass zwei Geschlechter verschiedene, sich ergänzende Eigenschaften besaßen und verschiedene Aufgaben zu erfüllen hatten. Mit der Industrialisierung und Entstehung der Massenproduktion änderte sich das Leben. Tausende von Menschen zogen in die Städte. In dieser Zeit entstanden neue Grundsätze und Methoden wissenschaftlicher Betriebsführung. Die Arbeiter wurden ein austauschbarer und emotionsloser Faktor, der Mensch bildete zusammen mit Maschinen einen Mechanismus, der reibungslos zu funktionieren hatte. Die Arbeitskraft in den Fabriken, die zum Großteil aus Männern bestand, hatte kaum Gelegenheit für soziale Kontakte. Maskulinität definierte sich ab diesem Zeitpunkt durch Emotionslosigkeit. Vernunft, Technik und Rolle des Ernährers wurden zum neuen Männerbild, während Emotionen, Beziehungen und Haus zum Frauenbild gehörten. In dieser Zeit fing man an, Männer und Frauen nicht mehr als `verschieden`, sondern `gegensätzlich` zu betrachten. Die Begriffe `maskulin` und `feminin` bedeuteten ab diesem Zeitpunkt nicht mehr verschieden, sondern bildeten einen Gegensatz. Im 20. Jahrhundert verschob sich das Männerideal: zwei Weltkriege verlangten von den Männern Härte, Kraft und Aggression als erstrebenswerte Eigenschaften. Die Frauen gingen immer mehr den traditionellen Männerberufen in den Fabriken nach, weil die Männer nicht verfügbar waren. Frauenrollen und - bilder fingen an, sich mit der Frauenbewegung zu wandeln, und in den meisten Ländern wurden zwischen den beiden Weltkriegen die Frauenwahlrechte eingeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Rolle des Mannes der Ernährer einer Kleinfamilie, die wenig Raum für Selbstbestätigung bot. Deswegen entwickelte sich eine neue Bewegung vor allem unter den Jugendlichen, junge Rebellen genannt, die dagegen war hart arbeiten zu müssen, eine Familie zu ernähren und sich anpassen zu müssen, dafür aber nach persönlicher Freiheit begehrte. Man sprach über männliche Aggressivität als Mittel zur Befreiung und von einer Identitätskrise der Jugendlichen. In der gleichen Zeit ereignete sich auch die sexuelle Revolution. Die Feministinnen kritisierten die rebellische Männlichkeit und stellten die These auf, dass Männer und Frauen gleich sind. Zu dieser Zeit entwickelte sich ein neues Männerbild der postindustriellen Zeit – Manbox. Dieses Bild wird durch vier Aussagen definiert:

- `kein Mädchenkram` – `weibliche` Eigenschaften wie Emotionalität und zwischenmenschliche Abhängigkeit sollten vermieden werden, ein `richtiger` Mann darf nicht feminin sein.

- `ein großes Rad` sein - hohes Ansehen und Erfolg anstreben.

- `eine standfeste Eiche` sein - unabhängig und ausdruckslos sein.

- `volle Kraft voraus` - Risikobereitschaft, Entschlossenheit und Aggression werden gefordert.

Dieses Männerbild unterstützt Risikobereitschaft, Gewalt und Aggression und wertet bestimmte Männergruppen ab - Homosexuelle[3], Risikoscheue oder Ehrgeizarme. Dieses Männerideal, im Gegensatz zum patriarchalischen Modell des 19. Jahrhunderts, unterstützt das Bewerten und Vergleichen und versursacht Leistungsdruck. Manbox wird als hegemoniale Männlichkeit[4] in der westlichen Gesellschaft gesehen, die in der Dominanz und Abgrenzung gegenüber dem Weiblichen entstand. Je mehr die Männer dem Manbox-Ideal entsprechen, desto mehr profitieren sie, da dieses Ideal in der Gesellschaft vorherrscht, die größte Macht hat und das höchste Ansehen genießt. Von den Männern, die andere Männerbilder vertreten, wird erwartet, dass sie sich der hegemonialen Männlichkeit unterordnen. Andere Männerbilder beinhalten:


New-Age-Mann – der sensible Mann, der Gewalt ablehnt, offen für neue Erfahrungen, sowie emotional und feinfühlig ist.


Metrosexueller Mann – ein `kultivierter` Mann, der großen Wert auf ein gepflegtes und modisches Erscheinen legt. Metrosexuelle werden oft für Homosexuelle gehalten, sind aber meistens heterosexuell.


Softboy – das Gegenteil vom `harten` Kerl, unterstützt Feminismus und legt großen Wert auf Emotionalität und ihren Ausdruck.


Zur hegemonialen Männlichkeit und dem Manbox- Ideal gehören Alphamänner und Selfmade-Männer. Bei der hegemonialen Definition handelt es sich um Macht, Sexismus, Rassismus und Heterosexismus.


Dieses Muster lässt die anderen Männerbilder nicht zu, es verbietet vielmehr den Männern, Gefühle wie Traurigkeit oder Angst zu äußern, erlaubt aber Aggression, Wut und Zorn. Das Manbox-Ideal macht es den Männern unmöglich, über ihre Probleme zu sprechen und Hilfe zu suchen, denn `ein Indianer weint nicht`, und ein `richtiger Mann` ist unverwundbar. Andrew Smilers Fazit: Gewaltbereitschaft, Risikobereitschaft, hohe Selbstmordrate, Vernachlässigung der eigenen Gesundheitsvorsorge, Störungen des Körperwahrnehmens (Dysmorphophobie), selbstschädigendes Verhalten durch Abenteuerlust sind auf dieses Männlichkeitsbild zurückzuführen. Das Ideal der Unverletzlichkeit verbietet den Männern `feminin` zu sein, und Männer versuchen „ihr Bedürfnis nach Emotionalität zu verringern. Dadurch bringen sie sich selbst um positive Gefühle wie Liebe, Freude, Überraschung oder Stolz“ (ebd., S. 79).

Es liegt nahe, dass sich, wenn Emotionen unterdrückt werden, Gefühlswahrnehmung nur noch auf Lust beschränkt und Macht, Dominanz und Resultate wichtiger sind als Beziehungen. Dann neigen die Männer zu Promiskuität und betrachten die Frau nur noch als Sexualobjekt. Pornografie spiegelt die Denkweise der hegemonialen Männlichkeit und Verhaltensregeln der Manbox zum Sex wider. Konsumenten von Pornografie sind überwiegend Männer. Der Fokus wird auf Geschlechtsverkehr ohne Gefühle gelegt, und es wird suggeriert, dass verbale Verständigung nicht nötig sei, die penetrierten Personen sexuell immer verfügbar seien und den Sex auch ohne Einverständnis genießen würden. Männer sind auch beim Sex ergebnisorientiert. Die Penetration spielt eine übergeordnete Rolle, was bewirkt, dass Erektionsstörungen oder die Angst, solche zu bekommen, die Männer stark in ihrem Selbstwertgefühl beeinträchtigen.


Kaiser berichtet von der `Mannosphäre` - die Bildung frauenfreier Räume im Internet. Viele dieser frauenfreien virtuellen Räume entstanden in den neunziger Jahren als Gegenbewegung zum Feminismus. Mit der Zeit entwickelten sich diese diversen virtuellen Foren, die auf `Männerthemen` ausgerichtet sind, zu einer neuen männlichen Subkultur, die Kaiser „neuer Typus misogyner Männlichkeit“ (Kaiser, 2020, S. 25) nennt. Dazu gehören Incel-Bewegung, Männerseparatisten MGTOW (Men going their own way), PUA (Pick-up-Artists), Red-Pill Verschwörungstheoretiker und verschiedene Männerrechtler-Gruppen, wie z.B. die Alt-Right-Bewegung.

Incels, die von sich behaupten, sie leben in einer unfreiwilligen sexuellen Enthaltsamkeit, geben den Frauen und der Gesellschaft die Schuld dafür, dass sie keinen Sex haben. Sie kultivieren Frauenhass, die Frauen werden als `Femoids`, `Female Android` oder `Female Humanoid` bezeichnet, und es wird für die Frauen das Pronomen `es` benutzt. Sie bezeichnen sich als `Beta-`, `Delta-` Mann oder sogar `Epsilons` - im Gegensatz zum Alpha-Mann-Ideal. Auch wenn die Foren immer wieder wegen misogynen, hasserfüllten, rassistischen und gewalttätigen Inhalten geschlossen werden, tauchen sie nach kurzer Zeit wieder online auf. Die gelöschten Threads aus diesen Online-Foren trugen Titel wie `All women are sluts`, `Reasons why women are the embodiment of evil`. PUAs organisieren Seminare, um in der Theorie die `Kunst` zu erlernen, wie man so oft wie möglich Frauen abschleppen kann. The-Red-Pills wie auch MGTOWs und Alt-Rights vertreten Internet-Foren mit rechtsgerichteten, hasserfüllten und chauvinistischen Inhalten. Die gemeinsame Grundlage dieser Maskulinisten ist, so Kaiser, dass die Emanzipation als Nullsummenspiel dargestellt wird, bei dem, wenn die Frauen gewinnen, sich die Männer automatisch als Verlierer sehen. Es wird diskutiert, dass Vergewaltigungen per Gesetz erlaubt werden sollten. Als Analog zu Wikipedia wurde Wikimannia entwickelt, eine Seite für eine `alternative` Weltsicht mit frauenfeindlichen und rassistischen Lexikonartikeln[5]. Es ist nicht zu unterschätzen, dass z.B. das Forum 4chan zu den 1000 meistbesuchten Seiten im Internet weltweit gehört und zu den 400 meistbesuchten in Deutschland und den USA. Die meisten Inhalte des Unterforum /pol/ (politisch inkorrekt) sind rechtsextrem und Frauen und anderen Minderheiten gegenüber feindlich gesinnt (vgl. Kaiser, 2020, S. 19ff.). In einem Experiment der University of Maryland wurden fiktive Adressen in Chatrooms installiert, und es wurde festgestellt, dass die weiblichen Adressnamen annähernd 100 sexuell explizite Drohungen und Beschimpfungen per E-Mail an einem Tag bekommen haben, wobei es bei den männlichen Namen nur 3,7 pro Tag (Köhler, bei Hell, 2018, S. 203f.) waren.

Illouz zufolge ist das Incel-Phänomen „an der tektonischen Bruchlinie zwischen dem traditionellen (gewalttätigen) Patriarchat und den Hochgeschwindigkeitsformen des technologischen und skopischen[6] Kapitalismus angesiedelt“ (Illouz, 2018, S. 337).


Als eines der düstersten Kapitel seines Buches bezeichnet Chu das Kapitel über die Scham des Mannes über Männergewalt und betont, dass das System der Gewalt nur durch die geistige Vorstellung der weiblichen Unterwerfung und der Männlichen Dominanz aufrechterhalten wird (vgl. Chu, 2014, S. 132f.).


Vor etwa hundert Jahren verfasste Filippo Marinetti sein Futuristisches Manifest: „Wir wollen den Krieg verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt -, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes“ (Marinetti, 1909, S. 129f.).


Die moderne Version klingt in der Rap-Szene immer noch ähnlich:

„Ich hänge nicht mit Männern, die kochen und putzen – für mich seid ihr alle kleine Fotzen und Nutten“ (Bushido).

„Und sag ich `Putzfrau´, ist es ein Befehl und kein Beruf“ (Bang).

„Also laber uns nicht voll mit deinem Mädelskram, Eine Frau bleibt auf Ewigkeit ein Gegenstand“ (Finch ASOZiAl).

„Will keine Fraue`n, will Hoes. Sie müssen blasen wie Pros“ (Fler).


„Mein Album in den Charts, doch Mama ist nicht stolz

Die Maske ist aus Gold, doch Mama ist nicht stolz

Ich kann's leider nicht ändern, das war alles nicht gewollt“

Ich hab' Geld, ich hab' Macht, aber Mama ist nicht stolz“ (18 Karat).


„Und wenn du möchtest, hol ich dir jeden Stern vom Himmel

Kein Weg ist mir zu weit, guck ich springe nur für dich

In jeden Abgrund dieser Erde

Weil ich weiß, du würdest dasselbe tun, Mama“ (Bushido).


In den Rap-Texten gibt es ein ziemlich eindimensionales Weiblichkeitsbild: Entweder ist die Frau eine Hure oder eine Heilige (meistens ist die Heilige die eigene Mutter).

Amsel Grün berichtet über Männer-Gruppen, die er als Benediktinermönch leitet. Laut Grün sind viele Männer in ihrer männlichen Identität verunsichert. In seinem Buch „Kämpfen und lieben“ bietet er 18 männliche archetypische Bilder aus der Bibel an als Hilfe für Männer, die nach männlichen Vorbildern suchen. Er verweist dabei auf C.Jung und betont, dass diese archetypischen Bilder den Männern helfen könnten, mit dem eigenen Potenzial in Berührung zu kommen (vgl. Grün, 2011, S. 7ff.).


Als weibliche biblische Identifikationsfigur gilt die Heilige Maria – voller Hingabe, die gleichzeitig Jungfrau und Mutter ist, die Vollkommene - eigentlich ein unerreichbares Ideal, der „… die Minderwertigkeit der (realen) Frau, die dem verherrlichten Idealbild nie gerecht werden kann“ (Hammer-Tugendhat & Kaplan) widerspiegelt.


Über die Madonna-Hure Spaltung berichtete Freud. Die männliche Sexualität wird abgespalten in einen `sauberen` und offenen Anteil und einen `schmutzigen`, geheimen Anteil: „Wo sie lieben, begehren sie nicht und wo sie begehren, können sie nicht lieben“ (Freud bei Hartmann, 2018, S. 373). Hartmann behauptet, dass die Madonna-Hure Spaltung oft eine große Rolle bei Orgasmushemmungen und Sexsucht spielt, und dass männliche Sexualität immer noch von dieser Spaltung in unterschiedlichen Ausformungen geprägt ist (vgl. ebd., 285).

[3] Homosexualität war im 20. Jahrhundert strafbar und gehörte zu den psychischen Erkrankungen. In Österreich wurde Homosexualität erst 1971 legalisiert BGBl. Nr. 273/1971 (1971). [4] Dieser Begriff stammt aus der Soziologie, er erklärt, wie von Männern die soziale und politische Dominanz gegenüber Frauen und anderen schwächer wahrgenommenen Gruppen, wie komplizenhafte, marginalisierte oder untergeordnete Männlichkeit, aufrechterhalten wird. Smiler, Taylor und Krabbe (2020, S. 47). [5] Startseite von Wikimannia: „Antifeminismus ist wie eine Schmerztablette und wirkt gegen feministischen Männerhass und Ressentiments gegen alles Männliche“. Wikimannia.(2020). [6] Von Eva Illouz eingeführter Begriff. Vom altgriechischen `skopein` - `betrachten`. Illouz definiert diesen Begriff dadurch, dass Konsumkapitalismus durch Zurschaustellung des Körpers einen Mehrwert bezieht. „`Sexyness` ist das Resultat neuer Ideologien der Sexualität als einer Warenform“ Illouz (2018, S. 158).

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