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AutorenbildNadiya Khayrullina

Psychomentale Belastung

Aktualisiert: 13. Juni 2022



Laut Allianz Stress-Umfrage aus dem Jahr 2017 fühlen sich 39 Prozent aller Österreicher durch Stress im Beruf erheblich beeinträchtigt, 25 Prozent durch Stress in der Freizeit. Beinahe jeder Vierte nähert sich dem Ende seiner Kräfte und steuert auf den Burnout zu. Neben dem Job ist es auch die wachsende Belastung im Privatleben, die vielen Menschen zu schaffen macht. (https://www.allianz.at/ueber-allianz/medianewsroom/)

Zu den wichtigsten Begriffen, die im 20. Jahrhundert entstanden sind, gehört neben Kernenergie, Genetik und Internet auch Stress. Der menschliche Körper ist ein vollkommenes Produkt aus mehreren Millionen Jahren der Evolution. In dieser Zeit entwickelte sich der Körper aber unter ganz anderen Bedingungen, denn das Leben fand in der wilden Natur statt. Die führende Lebensstrategie, die sich unter den damaligen Bedingungen entwickelt hat, war ganz einfach, nämlich das Überleben. So schnell wie möglich musste der Körper mobilisiert werden für Kampf oder für Flucht. Wenn ein Raubtier in der Nähe war, war die lebensrettende Reaktion kämpfen, fliehen oder erstarren. In diesem Moment schütten unsere Nebennieren Stresshormone aus, die den Körper optimal und in kürzester Zeit mobilisieren: Atembeschleunigung, Schwitzen, erhöhte Muskelspannung, Energiebereitstellung, schnellerer Herzschlag, erhöhter Blutdruck, verbesserte Reflexe, Libidohemmung, kurzfristig erhöhte Schmerztoleranz. Die beschriebenen Reaktionen entwickeln sich aufgrund der Aktivierung des Sympathikus, dessen Aufgabe es ist, den Körper in kürzester Zeit auf aktives Verhalten (Kampf oder Flucht) vorzubereiten.

Die Anpassung von Körpersystemen an verschiedene Aktivitätszustände und äußere Gegebenheiten erfolgt durch das vegetative Nervensystem, das Hormonsystem und das limbische System. Das vegetative Nervensystem steuert die Körperfunktionen mittels Sympathikus und Parasympathikus. Die Aufgabe des Parasympathikus ist es, den Körper auf Ruhe- und Verdauungsphasen vorzubereiten: er steigert die Durchblutung der inneren Organe, senkt Atem- und Herzfrequenz, reguliert Sexualreflexe und sorgt so für eine Regeneration im Körper. Das vegetative Nervensystem schafft durch diese zwei Regelkreise die Voraussetzung für bestimmte Verhaltensmuster. Es ist sehr wichtig, dass diese zwei Regelkreise langfristig im Gleichgewicht bleiben. Das vegetative Nervensystem ist eng mit dem Hormonsystem und dem limbischen System verbunden, sie beeinflussen sich gegenseitig. Das limbische System reagiert auf Sinnesinformationen und initiiert die Verhaltensänderungen je nach Bedarf. Das limbische System ist sozusagen ein Vermittler zwischen dem vegetativen Nervensystem (Hypothalamus) und der Großhirnrinde. Das Großhirn erlaubt dem Körper, sich durch das logische Denken an die Umwelt anzupassen. Das limbische System wird durch den aktuellen Zustand des Körpers beeinflusst. Die Systeme werden nicht nur einseitig beeinflusst, limbisches System → vegetatives System, sondern auch umgekehrt durch die peripheren Organe.

Der menschliche Organismus gewöhnte sich erst von wenigen tausend Jahren an das Leben in der Zivilisation und den Komfort. Die Stressmechanismen sind aber die gleichen geblieben, und das Gehirn unterscheidet wenig zwischen einer lebensgefährlichen Situation von damals (Begegnung mit dem Raubtier) und einer Stresssituation von heute (z.B. Streit). Es werden die gleichen Stressmechanismen im Körper aktiviert. Evolutionsmäßig gesehen hat die Entwicklung von Stressmechanismen das Leben gerettet und dürfte keine gesundheitlichen Schäden hinterlassen, weil durch die Ausschüttung von Hormonen und die kurzfristige Aktivierung des Sympathikus, immer eine Reaktion in Form von „fight or flight“ sattfinden sollte. Im modernen Leben kann diese “Entladung“ nicht immer stattfinden. Werden diese Stressmechanismen zu oft und dauerhaft ausgelöst, entsteht die Gefahr der Entwicklung einer psychomentalen Belastung und damit als Folge psychosomatische Krankheiten, Depressionen und Burn Out.

Der Begriff Stress wurde erstmals im Jahr 1914 von Walter Cannon als Fight-or-flight Reaktion beschrieben. Später formulierte Hans Selye Stress als das allgemeine Adaptationssyndrom. Hans Selye hat auch den Begriff vom Eustress und Distress eingeführt. Der Begriff von Eustress hat zwei Bedeutungen - Stress, der durch positive oder angenehme Emotionen verursacht wird - Stresszustand, der den Organismus mobilisiert. Eustress ist also ein „guter“ Stress. Dank dieser Art von Stress werden die körperlichen, emotionalen, psychischen und kognitiven Ressourcen mobilisiert: die Motivation steigert sich, der Mensch wird widerstandsfähiger.

Distress ist im Gegensatz zu Eustress ein negativer Stress. Über Distress redet man, wenn eine Situation auftritt, die als schwierig und unüberschaubar wahrgenommen wird.

Es kann verschiedene Ursachen für Stress geben: Krise, Trauma, Konflikte, Hindernisse, die das Erreichen von Zielen unmöglich machen, Druck, zu hohe Anforderungen an sich selbst, Lärm, zu viele Aufgaben, zu viel Arbeit, zu wenig Arbeit, monotone Arbeit, sich selbst die Schuld geben, finanzielle Probleme, Streitigkeiten, Zeitdruck und vieles mehr. Der Stresszustand ist immer mit der Entstehung von negativen Emotionen verbunden.

Wie beeinflussen die Emotionen die Gesundheit? Man unterscheidet „natürliche“ und „unnatürliche“ negative Emotionen. Zu den „natürlichen“ gehören solche Emotionen wie Angst, Wut und Zorn, diese Emotionen haben dem Menschen bei einer „fight or flight“ Reaktion geholfen. Sogar gereizt sein hat geholfen, z.B. eine nervige Mücke zu töten, oder Eifersucht hat geholfen im Kampf um das Weibchen. Diese Emotionen kann man auch heute noch mit Hilfe von physischen Aktivitäten „entladen“, die eine „fight or flight“ Reaktion imitieren wie z.B. Joggen, Sport und Fitness.

Komplizierter ist es mit „unnatürlichen“ negativen Emotionen, die evolutionsmäßig viel später entstanden sind, als der Urmensch angefangen hat im Sozium zu leben, - wie Scham, Neid, Schuld oder Kränkung. Wenn ein Urmensch von einem Raubtier angegriffen wurde, musste er um sein Überleben kämpfen, er hat natürliche Emotionen wie Angst (flight) oder Wut (fight) entwickelt, aber er hat sich vom Raubtier nicht gekränkt gefühlt, er hat auch keine Schuldgefühle entwickelt, wenn er als Sieger aus dem Todeskampf trat. Bei Neid, Scham, Schuld oder Kränkung gibt es keine „entladenden“ Mechanismen.

Heutzutage ist das Leben im Sozium kompliziert, die gesellschaftlichen Normen erlauben es nicht immer, eigene die Emotionen zu zeigen oder auf natürliche Weise zu entladen. Von Kindheit an werden die Menschen dazu erzogen ihre Emotionen zu unterdrücken. Als Folge entstehen emotionale, mentale und muskuläre Spannungen. Bei jeder Art von Stressreaktion wird die Muskelanspannung erhöht, vor allem bei jenen Muskeln, die den Körper auf Kampf, Flucht oder eine Schutzreaktion vorbereiten.

Ein langer negativer Stress ist der Grund für psychomentale Belastungen. Er wirkt sich negativ auf den gesundheitlichen Zustand aus. Menschen die unter einer psychomentalen Belastung leiden und psychosomatische Beschwerden entwickeln, bekommen von behandelnden Ärzten in den meisten Fällen eine kardiologische, rheumatologische, gastroenterologische oder neurologische Diagnose.

Psychologische Beratung kann den Menschen helfen, durch eigene Selbstreflexion einen neuen Blick und Perspektivenwechsel im Betrachten der eigenen Problemsituation zu entwickeln und aus eigener Kraft die Dinge zu ändern.

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